Manchester United: Im Klammergriff des alten Helden Sir Alex Ferguson (2024)

  • X.com
  • Facebook
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp
  • E-Mail
  • Messenger
  • WhatsApp
Manchester United: Im Klammergriff des alten Helden Sir Alex Ferguson (1)

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Ole Gunnar Solskjær, das konnte man beim 3:0-Auswärtssieg gegen Tottenham Hotspur zum wiederholten Male sehen, hat sein Gespür für exzellentes Timing aus der Profikarriere als Manchester Uniteds treffsicherster Einwechselspieler (28 Joker-Tore) auf die Trainerbank mitgenommen. Der Erfolg an der White Hart Lane verschaffte dem 48-Jährigen nach dem 0:5 gegen Liverpool in der Vorwoche nicht nur eine erholsame Atempause, er sorgte zugleich auch geschickt dafür, dass der aussichtsreichste Anwärter für Solskjærs Amt erst mal anderweitig beschäftigt ist: Antonio Conte trainiert seit Dienstag die Spurs.

So mancher United-Fan fragt sich vor dem Stadtderby gegen Manchester City heute Mittag (13.30 Uhr/Sky), wie viele Kaninchen der Norweger noch aus dem Hut zaubern kann. Seit er im Dezember 2018 zunächst als Interimscoach übernahm, hat er sich immer wieder mit punktuellen Erfolgen gerettet. Bis die nächste Krise kam. Eine nachhaltige Entwicklung des Teams konnte in diesem steten Auf und Ab nicht stattfinden. Schuld daran ist aber letztlich weniger er als der Verein, der die von ein paar knalligen Momenten übertönten Arrhythmien nun schon knapp drei Jahre lang toleriert.

Der »Guardian« mutmaßte kürzlich nicht ganz im Ernst, dass Geschäftsführer Ed Woodward und die Besitzerfamilie der Glazers die chaotische Inkonstanz heimlich guthießen, da diese United »als Entertainment-Produkt besser vermarktbar« mache.

Manchester United: Im Klammergriff des alten Helden Sir Alex Ferguson (2)

Sir Alex Ferguson, 79, könnte mit dieser Lesart bestimmt nichts anfangen. Doch den sportlichen Verfall des Branchenriesen seit der Meisterschaft in seinem letzten Amtsjahr 2013 hat auch der erfolgreichste Manager der Vereinsgeschichte mitzuverantworten, da er in 37 Jahren keine sportlichen Kompetenzträger neben, geschweige denn über sich erlaubte.

Nach dem Abschied des Trainer-Autokraten – Spitzname: The Dark Knight, der dunkle Ritter – stieg so der fachfremde Ex-Bankier Woodward zur wichtigsten Person auf. Eine Vielzahl von falschen Trainer- und Transferentscheidungen ließen den umsatzstärksten Klub der Insel fast schon folgerichtig hinter der Spitze in England und Europa zurückfallen.

Ein Führungsvakuum im sportlichen Bereich

Woodward verkündete im Zuge der gescheiterten Einführung der Super League seinen Rücktritt zu Jahresende, sein Nachfolger soll Managing Director Richard Arnold werden, ein gelernter Steuerberater, der zuvor als Marketingchef tätig war. Mit John Murtaugh gibt es seit einigen Monaten auch einen öffentlich nicht in Erscheinung tretenden Sportdirektor im Organigramm, aber das fußballerische Führungsvakuum, das der Schotte hinterließ, ist derzeit so groß, dass er es nun selbst füllen muss. Insider berichten, dass Seine Eminenz in den vergangenen Wochen hinter den Kulissen verstärkt mitmischte, insbesondere in der Frage nach Solskjærs Zukunft sollen Woodward und Avi Glazer, das für United zuständige Mitglied der Eigentümerfamilie, Fergusons Expertise eingeholt haben.

Er steht hinter seinem Ex-Spieler, zumindest für den Moment, und verteilt Ratschläge. »Die besten Spieler müssen von Anfang spielen«, sagte Ferguson nach dem 1:1 gegen Everton Anfang Oktober, bei dem Cristiano Ronaldo erst nach 57 Minuten zum Einsatz gekommen war. Der Portugiese saß seitdem kein einziges Mal mehr auf der Bank.

Manchester United: Im Klammergriff des alten Helden Sir Alex Ferguson (3)

Solskjær inszeniert sich in vielerlei Hinsicht als Bewahrer der fergusonschen Traditionen. Er spricht viel von dem »United Way«, einer Spielweise, die an draufgängerische Triumphe unter Sir Alex anschließen soll. Wie zu dessen Zeiten gibt es regelmäßige Quizabende, die Spieler müssen zu Auswärtsspielen wieder in Anzügen anreisen. Solskjær überlässt wie sein Lehrmeister Trainingsarbeit und taktische Details seinen Assistenten. Er schaut in Carrington vom Seitenrand zu.

Im Gegensatz zu Ferguson, der den Laden mit einer Mischung aus onkelhaftem Charme, diktatorischer Brutalität und seinem unbändigem Willen von einem Titel zum nächsten führte, fehlt dem in der Kabine als »netter Kerl« beliebten Solskjær allerdings komplett das Furcht einflößende Element. Sein »Ferguson light«, das Vertrauen auf die individuellen Fähigkeiten der Spieler, gutes Zureden und die eine oder andere Reminiszenz an die Methoden der Neunzigerjahre, reicht in einer Liga mit Pep Guardiola, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel als Kontrahenten wenig überraschend nur für vereinzelt lichte Momente.

Ein Retro-affiner Mini-Fergie

Solskjærs grundlegende Schwächen dürften weder Ferguson noch den anderen Entscheidungsträgern verborgen geblieben sein. In Ermangelung einer Vision, wie ein neues, von einer internationalen Koryphäe in die fußballerische Moderne geführte United aussehen könnte, klammert man sich jedoch lieber an die vermeintlichen Lehren der Vergangenheit. Ferguson bekam einst vier Jahre Zeit, um ein damals nicht mehr konkurrenzfähiges Team kontinuierlich zu verbessern und ganz nach oben zu führen, diese Frist will man nun auch Solskjær zugestehen.

Stringenter als der Versuch, Fergusons einzigartigen, bombastischen Hit von früher im Jahre 2021 auf der Blockflöte nachzuspielen, wäre dabei, nach einem kraftvollen Revoluzzer Ausschau zu halten, der wie der Schotte 1986 mit den alten Gesetzmäßigkeiten bricht und ein völlig anderes Ethos einbringt. Ehemalige Bankangestellte, Marketing-Männer, Groß-Investoren und ein Elder Statesman, der sein eigenes Erbe verwaltet, sind für solche Umstürze in der Regel aber eher nicht zu gewinnen. Ein leicht zu handhabender, Retro-affiner Mini-Fergie auf der Bank ist ihnen einstweilen bedeutend lieber, Siege nicht zwingend inbegriffen.

Manchester United: Im Klammergriff des alten Helden Sir Alex Ferguson (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Jerrold Considine

Last Updated:

Views: 5509

Rating: 4.8 / 5 (78 voted)

Reviews: 93% of readers found this page helpful

Author information

Name: Jerrold Considine

Birthday: 1993-11-03

Address: Suite 447 3463 Marybelle Circles, New Marlin, AL 20765

Phone: +5816749283868

Job: Sales Executive

Hobby: Air sports, Sand art, Electronics, LARPing, Baseball, Book restoration, Puzzles

Introduction: My name is Jerrold Considine, I am a combative, cheerful, encouraging, happy, enthusiastic, funny, kind person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.